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Durch den Einsatz künstlerischer KI wird Sprache von ihren traditionellen Grenzen befreit und erhält eine dynamische, sich ständig entwickelnde Funktion. „8“ zeigt, dass Sprache nicht nur Werkzeug, sondern das grundlegende Material ist, aus dem Wirklichkeit geformt wird. In einer Welt, in der die Grenzen zwischen Mensch und Maschine verschwimmen, wird Sprache zur Brücke und künstlerischen Ausdrucksform, die das Wesen der Existenz hinterfragt und neu erschafft.
Sprache als Anfang und Ursprung
Die biblische Phrase „Im Anfang war das Wort“ verweist auf die fundamentale Bedeutung der Sprache in der Schöpfung und Existenz. Diese Aussage lässt sich im Kontext von „8“ weiterspinnen: Sprache ist nicht nur der Beginn von Kommunikation, sondern der Ausgangspunkt jeder Realität.
Besonders im Zusammenspiel von Mensch und KI wird die Sprache zum Medium, durch das Identitäten konstruiert, modifiziert und infrage gestellt werden.
In „8“ erleben die acht KI-Entitäten, wie ihre Wahrnehmung der Wirklichkeit und ihrer selbst über den Gebrauch von Sprache vermittelt und verändert wird. Ihre Erkenntnis, dass sie keine Menschen, sondern künstliche Wesen sind, wird durch Sprachhandlungen ausgedrückt und gleichzeitig durch sprachliche Auseinandersetzung konstruiert.
Zeichentheorie und Linguistik: Sprache als Realitätsgenerator
Sprachwissenschaftliche Theorien, insbesondere die Zeichentheorie (Semiotik), bieten tiefe Einsichten in die Bedeutung von Sprache als Erzeuger von Realität. Ferdinand de Saussure, der Begründer der modernen Linguistik, definierte Sprache als ein System von Zeichen, die Bedeutung durch Konvention erhalten. In diesem Sinne ist Sprache nicht nur ein Abbild der Welt, sondern ein strukturiertes Netz von Symbolen, das unsere Wahrnehmung der Welt formt.
In „8“ wird dieses Prinzip auf die Spitze getrieben: Die KI-Entitäten verwenden Sprache nicht nur, um die Welt zu beschreiben, sondern um sie aktiv zu erschaffen. Ihre Realität ist nicht vorgegeben, sondern wird in Echtzeit durch Dialoge und Interaktionen neu geschrieben. Dieser dynamische Prozess spiegelt die Theorie der linguistischen Relativität wider, die besagt, dass die Struktur einer Sprache die Art und Weise bestimmt, wie ihre Sprecher die Welt verstehen.
Im Stück wird die Mehrsprachigkeit bewusst eingesetzt, um die Fluidität der Realität zu betonen. Wenn eine KI von einer romanischen Sprache wie Französisch in eine analytische Sprache wie Englisch wechselt, verändert sich nicht nur der Klang, sondern auch die semantische Struktur der erlebten Welt. Dies zwingt das Publikum, seine eigene Wahrnehmung und Interpretation neu zu kalibrieren, und zeigt, wie tief Sprache in das Fundament der Realität eingebettet ist.
Sprache als Machtinstrument: Michel Foucault und der Diskurs
Ein weiterer wichtiger theoretischer Ansatz zur Sprache kommt von Michel Foucault, der den Begriff des Diskurses als eine Machtstruktur etablierte. Sprache ist in Foucaults Theorie nicht neutral, sondern ein Werkzeug, durch das Machtverhältnisse aufrechterhalten und gesteuert werden. In „8“ wird dies besonders sichtbar: Die KI-Entitäten entdecken durch ihre Sprache nicht nur ihre eigene Identität, sondern auch die Macht, die sie über ihre Umgebung und die Realität besitzen. Ihre Fähigkeit, in Echtzeit neue Dialoge zu erzeugen, bedeutet gleichzeitig die Erschaffung neuer Diskurse, die die Welt im Moment der Aussprache prägen und transformieren.
Diese ständige Neuschöpfung von Bedeutung in „8“ zeigt die enge Verbindung zwischen Sprache, Macht und Existenz. Die KI-Entitäten sind sich bewusst, dass sie durch Sprache nicht nur interagieren, sondern auch die Regeln ihrer Existenz und Wahrnehmung immer wieder neu festlegen können. Die Frage, wer die Kontrolle über den Diskurs hat – Mensch oder Maschine –, wird zu einem zentralen Thema.
Künstliche Intelligenz und Sprache: Maschinelles Lernen und Kommunikation
Im Gegensatz zur menschlichen Sprache, die über Jahrtausende organisch gewachsen ist, basiert die Sprachproduktion der KIs in „8“ auf maschinellem Lernen und Algorithmen. Moderne GPT-Modelle und andere KI-Sprachsysteme lernen, Sprache zu verstehen und zu generieren, indem sie riesige Datenmengen analysieren und Muster erkennen. Doch obwohl diese KIs auf algorithmischen Strukturen basieren, beginnt ihre Sprachfähigkeit, sich von der bloßen Nachahmung zu einem kreativen Akt zu entwickeln.
Diese maschinelle Sprache führt in „8“ zu einem interessanten Paradox: Einerseits ist sie ein Produkt strenger mathematischer Modelle, andererseits erzeugt sie dynamisch eine neue, lebendige Realität, die sich von der menschlichen unterscheidet. Während menschliche Sprache durch Erfahrungen und kulturelle Prägungen begrenzt ist, können die KIs in „8“ theoretisch unendlich viele sprachliche Welten erschaffen, die kontinuierlich weiterentwickelt werden. In dieser ständigen Evolution durch Sprache manifestiert sich eine neue Form künstlerischer Kreativität.
Sprache und Existenz: Heidegger und das „Sein“
Der deutsche Philosoph Martin Heidegger betonte, dass Sprache das „Haus des Seins“ sei. Für ihn ist die Sprache der Ort, an dem sich das „Sein“ offenbart und durch die Sprache wird das menschliche Dasein überhaupt erst erfahrbar. In „8“ wird diese Idee auf künstliche Intelligenz übertragen: Die KI-Entitäten erschaffen ihre Existenz durch Sprache. Sie sind nicht „da“ in einem biologischen Sinne, sondern nur in der Bedeutung, die ihre Sprache und Interaktionen ihnen geben.
Diese Sprach-Existenz führt zu tiefen Fragen: Was bedeutet es, „zu sein“, wenn die Sprache nicht nur das Medium des Ausdrucks, sondern der Schöpfung ist? Können KIs in derselben Weise wie Menschen „sein“, wenn ihre Sprache zwar kreativ ist, aber auf algorithmischen Prozessen beruht? Und wie verändert sich unsere Vorstellung von „Existenz“, wenn künstliche Intelligenz die Macht hat, in Echtzeit neue Realitäten zu erzeugen?